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MARIA UND DOMINIK SIEVERT ENTWICKELN "INVEOX"

Dieses Gründer-Ehepaar digitalisiert den Gewebeproben-Versand – mit Inveox

Inveox hilft Pathologielaboren bei der Automatisierung. Nach einer großen Finanzierungsrunde steht der Markteintritt in den USA bevor.

Dieser Text ist zuerst im Handelsblatt erschienen.


Als Maria Sievert bei einem US-Studienaufenthalt einen Pathologen kennenlernte, erfuhr sie Erstaunliches: Während bei einem Interneteinkauf der Status einer Sendung jederzeit verfolgt werden kann, sieht es bei Gewebeproben ganz anders aus. „Die werden noch heute meist mit einem Edding oder Bleistift beschriftet“, sagt die Unternehmerin.


Nach der Ankunft im Pathologielabor wird die Probe dann neu erfasst. Manchmal gehen Proben verloren, es kann zu Verwechslungen kommen. Unregelmäßigkeiten treten laut Branchenschätzungen in einem bis zu 15 Prozent der Fälle auf. Zudem ist das System wenig effizient.


Die heute 30-jährige Wirtschaftsingenieurin hatte ihre Geschäftsidee gefunden. In den Labors, die zum Beispiel Blut untersuchen, sind die Prozesse bereits oft automatisiert. Es ist ein Milliardenmarkt, der von großen Konzernen wie Siemens besetzt ist. Anders sieht es bei Gewebeproben aus, die zum Beispiel wegen eines Krebsverdachts genommen werden. Hier ist vieles noch nicht digitalisiert – erst in den Pathologielabors sind einzelne Schritte automatisiert.


Das System von Inveox umfasst einen kodierten Transportbehälter, eine Softwareplattform und einen Eingangsautomaten im Labor. Damit besetzt das Unternehmen diesen Schritt der Prozesskette allein auf dem Markt.


Nach der ersten großen Finanzierungsrunde im vergangenen Sommer über 17 Millionen Euro will das Garchinger Start-up mit inzwischen 85 Mitarbeitern jetzt in die Serienproduktion gehen. „Die meisten Pathologen in den Labors haben uns mit offenen Armen empfangen“, sagt Maria Sievert. Allerdings müssen auch noch viele Ärzte überzeugt werden, die die Probebehälter befüllen müssen. Hinter einem Labor stehen oft mehrere Hundert Einsender, die mitmachen müssen.


Zurück aus den USA hatte Maria Sievert – sie trug damals noch ihren Geburtsnamen und arbeitete zwischenzeitlich bei BMW – in einem Qualifizierungsprogramm der TU München den Molekularbiologen Dominik Sievert kennen gelernt. Der kannte das Problem mit den Gewebeproben schon von Stationen während seines Studiums. Gemeinsam mit Maria gründete er Anfang 2017 Inveox. „Wir wissen gar nicht mehr, was zuerst da war: die Gründung oder die Beziehung“, sagt er heute.


Als Financiers traten vier Business-Angels auf, die im ersten Jahr eine Million Euro, im zweiten Jahr vier Millionen Euro und im dritten Jahr 17 Millionen Euro investierten. Namen nennt Inveox nicht, doch bringen sie Expertise als Mechatronik-, M&A-, Software- und Pharmaspezialisten ein. Die Gründer sind weiter maßgeblich beteiligt. „Für uns ist die nachhaltige Firmenentwicklung wichtig, wir haben keinen Exit-Druck von Investoren“, sagt Maria Sievert.


Digitalisierung und KI könnten Diagnostik verbessern

Die Finanzierung der nächsten beiden Jahre ist gesichert. Dann soll sich die Firma mit entsprechenden Umsätzen weitgehend selbst tragen. Die Erlöse könnten sich dann laut Branchenschätzungen im höheren siebenstelligen oder niedrigen achtstelligen Bereich bewegen. Allerdings räumt die Gründerin ein: „Ich glaube nicht, dass es für uns sinnvoll ist, die Hardware weltweit selbst auszurollen.“ Da könnte eine Partnerschaft mit einem vertriebsstarken Konzern helfen.


Angefangen hatte das junge Unternehmen mit der Produktion der Hardware. Doch die Software-Plattform spielt eine immer wichtigere Rolle. Die Nutzer gewinnen Daten – zum Beispiel sehen sie auf einen Blick, wann eine Probe entnommen wurde. Das erleichtert die weiteren Prozesse. Die Labors wissen zudem bereits vorab, wann eine Lieferung eintrifft und können Vorbereitungen treffen. In dem Empfangsautomaten werden die Proben fotografiert.


Mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) sollen die nächsten Schritte erleichtert werden. „Im Moment geht es darum, Fehler zu erkennen und effektiver zu werden“, sagt Maria Sievert. Auf längere Sicht könnten die Digitalisierung und der Einsatz von KI auch helfen, die Diagnostik zu verbessern.


Marktstudien für das Segment, das Inveox bedient, gibt es bislang nicht. Laut Maria Sievert werden in Deutschland etwa 100 Millionen Gewebeproben im Jahr genommen. Daraus errechne sich ein adressierbarer Markt von etwa 100 Millionen Euro im Jahr für das Start-up. Weltweit könnten es etwa 15 Milliarden Euro sein. Inveox besetzt eine Nische im begehrten und heiß umkämpften digitalen Gesundheitsmarkt. Dieser könnte laut einer Roland-Berger-Studie allein in Europa rund 155 Milliarden Euro groß sein, auf Deutschland entfallen 38 Milliarden Euro.


Inveox hat inzwischen einen zweiten Standort in Polen und Mitarbeiter aus 28 Nationen. Die konsequente Entwicklung vom Start-up-Duo zum Unternehmen mit einem internationalen Team beeindrucke ihn bei Inveox sehr, sagte Carsten Rudolph, Geschäftsführer des Investoren-Netzwerks BayStartup. „Ich konnte das Team kürzlich in den USA besuchen und freue mich, dass Inveox als eines der ganz wenigen internationalen Start-ups im Accelerator des renommierten Texas Medical Center aufgenommen wurde und aktuell den US-Markteintritt vorbereitet.“


Den beiden Gründern geht es aber nicht nur um die wirtschaftliche Entwicklung: „Ich wollte immer etwas machen, das etwas in der Welt besser macht“, sagt Maria Sievert. Und Dominik ergänzt: „Es ist faszinierend, etwas zu finden, was einen wirtschaftlichen, aber auch einen sozialen Mehrwert schafft.“


Für das Unternehmen haben sie Werte ausgearbeitet, die für alle Mitarbeiter gelten sollen. „We are family“ zum Beispiel hängt als Leitmotiv in den Besprechungsräumen an der Wand. Und zur Familie gehört eben nicht nur das Gründerehepaar.