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BEST OF TECHBOOST – TEIL 9: 100 WORTE

100 Worte: Mit Psychologie und KI das Gegenüber besser verstehen

Simon Tschürtz und Daniel Spitzer haben eine Software entwickelt, die beispielsweise eine Kundenanfrage auf Charakter und Stimmung des Schreibers analysiert. Damit lassen sich perfekte Antworten entwickeln.

Wie wir schreiben, sagt eine Menge über unsere Persönlichkeit und die aktuelle Stimmung aus. Die Studien des US-amerikanischen Psychologen James Pennebaker zeigen, dass die vermeintlich unwichtigen Füllwörter besonders aussagekräftig in Bezug auf ihren Verfasser sind. Diese Erkenntnisse kann die Software des Unternehmens 100 Worte nutzen. Das 2017 gegründete Start-up von Simon Tschürtz und Daniel Spitzer vereint Künstliche Intelligenz (KI) und Psychologie. Mit Hilfe der Textanalyse können Nutzer im Kundenservice, im Recruiting oder im Marketing ihr schriftliches Gegenüber besser verstehen und das für sich nutzen.


An manchen Mails sitzt der Verfasser lange. Feilt an Worten, überlegt, wie sie beim Empfänger ankommen. Der Berater in dem Moment ist er selbst, beziehungsweise sein eigenes Bauchgefühl. Die Software von 100 Worte übernimmt diese Beratungsfunktion. Sie lässt sich beispielsweise in Outlook integrieren und analysiert dann die empfangene Mail. Wie viel Leistungssprache, wie viel Beziehungssprache, wie viel Führungssprache oder wie viel analytische Sprache steckt darin? Das sind nur ein paar der Muster, die die Software erkennt.


Die übergeordnete Frage: Auf was für einen Charakter lässt das schließen? Unter diesen Vorzeichen überprüft die Software den eigenen Entwurf für eine Antwort. Das Programm liefert Vorschläge, welche Wörter besser ausgetauscht werden sollten. Von anfangs vielleicht 50 Prozent Übereinstimmung mit dem Gegenüber lassen sich so schrittweise mehr als 90 Prozent Übereinstimmung erreichen. „Es gibt Typen, die schreiben sehr intuitiv, andere eher analytisch. Je näher ich mich am Sprachprofil meines Gegenübers orientiere, desto mehr hole ich ihn ab“, sagt Simon Tschürtz.

Das Anwendungsgebiet beschränkt sich aber nicht nur auf die interne und externe Kommunikation. Ein Beispiel: „Wir können auch die Beschreibung eines Artikels in einem Online-Shop untersuchen“, erklärt Simon Tschürtz. „Je nach Zielgruppe kann es etwa wichtig sein, die Angabe ‚Lieferzeit 2 bis 4 Werktage‘ umzuformulieren in ‚In 2 bis 4 Werktagen bei dir zu Hause‘. Das schafft Verbindlichkeit und animiert mehr Kunden zum Kauf. Und der Online-Shop steigert seinen Umsatz.“


Simon Tschürtz kommt aus der Produktionstechnik, hat lange für Audi gearbeitet, zuletzt als Projektleiter. Dann hat er auf sein Studium noch einen zweiten Master in Data Science draufgesetzt. Sein Schulfreund Daniel Spitzer hat einen ganz anderen Weg eingeschlagen, er hat Psychologie studiert. Und dabei begegnete ihm in seiner Arbeit immer wieder das gleiche Problem: Die Auswertung von psychologischen Tests in Schriftform ist sehr aufwendig. Was wäre also, wenn eine KI diese Arbeit erledigen könnte? Dieser Gedanke war die Geburtsstunde von 100 Worte.


Im April 2017 dann die nebenberufliche Gründung, ein halbes Jahr später haben beide ihre Jobs gekündigt und sich ganz auf ihr Start-up konzentriert. „Unsere ersten zwei Jahre prägten sich stark durch Forschungsarbeit“, erzählt Simon Tschürtz. „Unsere KI beruht auf psychologischen Studien. Das unter dem Anspruch höchster Qualität miteinander zu verbinden, schafft man nicht mal eben.“ Im März 2019 haben Tschürtz und sein Partner ihre Idee dann auf einer Start-up-Messe präsentiert und die ersten fünf Kunden gewonnen, darunter den Feinmechanik-Konzern Zeiss und den Online-Händler Parfumdreams. Zeiss nutze 100 Worte besonders für die Personalgewinnung, sagt Tschürtz. Mit einer zielgerichteten Stellenanzeige ließen sich besser geeignete Mitarbeiter finden. Im Onlineshop von Parfumdreams kommt die KI von 100 Worte bei der Beschreibung der Produkte und in der Kundenkommunikation zum Einsatz.


Heute arbeiten 20 Köpfe für 100 Worte, der Kundenstamm ist auf 30 Unternehmen angewachsen. Eigentlich sollte das Start-up in diesem Sommer in die USA expandieren. Wegen der Coronakrise muss der Start aber verschoben werden. „Wir merken aber schon, dass unser Tool in der Krise gerade in den Bereichen Marketing und Vertrieb enorm an Nachfrage gewonnen hat“, sagt Tschürtz. Nur der Bereich Personalgewinnung geht naturgemäß durch die aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt etwas zurück.

Rückenwind hat das Start-up in seinen Anfangstagen auch durch das Programm TechBoost der Deutschen Telekom erhalten. Bereits 2018 nahm die Deutsche Telekom 100 Worte als eines der ersten Unternehmen in die Förderung auf. „Besonders die Nutzung der Telekom-Cloud war für uns ein großer Vorteil“, sagt Simon Tschürtz. „Nicht nur für uns als Lösung, auch unsere Kunden reagieren oft beruhigt, wenn sie hören, dass die Verarbeitung ihre Daten in einer so professionellen Cloud-Struktur stattfindet.“ Und über das Netzwerk und die Events der Telekom sei sein Unternehmen in Kontakt mit wichtigen Kunden gekommen.


Das Analysieren der Sprache seines Gegenübers ist etwas, das Simon Tschürtz heute nicht mehr abstellen kann – die Software ist in gewisser Weise auch in seinem Kopf. „Sich mit dieser Thematik so intensiv zu beschäftigen, hat schon große Trainingseffekte sagt er. „Ich gehe jetzt anders in Unterhaltungen oder Verhandlungen hinein und reagiere viel mehr auf meinen Gesprächspartner.“