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Digitalität und Bildung: Smart, aber nicht smart genug

Smarte, digitale Bildung statt Überprüfung von auswendig gelerntem Zeugs

Die Schritte zur "Selbstwerdung in so einer komplizierten Zeit wie jetzt" wahrnehmen und anerkennen statt des "Abprüfens irgendwelchen auswendig gelernten Zeugs“. So skizziert Myrle Dziak-Mahler, Kanzlerin und Geschäftsführerin der Alanus Hochschule in Bonn, die Lage der digitalen Bildung nach einem Jahr Pandemie.

Gleichschaltung in Schulen

„Kontrolle, Homogenität und Gleichschaltung dominieren immer noch das Bildungswesen. Wenn wir über Digitalität in der Bildung sprechen, reicht ein Methodenwechsel nicht aus. Wir müssen die Paradigmen fundamental ändern. Statt Fremdsteuerung brauchen wir Selbststeuerung von Individuen, Gruppen und Prozessen. Nicht mehr das Vermitteln steht im Vordergrund, sondern das Erforschen. 

Statt sich disziplinarischer Kontrolle zu unterwerfen, entwickeln Menschen ein differenziertes Verhältnis zu ihren eigene Bedürfnissen und denen ihrer Mitmenschen“, erklärt Dr. Christoph Schmitt, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Akademie Waldschlösschen in Göttingen, in der die Deutsche Aidshilfe aus der Taufe gehoben wurde. 

Digitale Bildung müsse die vernetzte Individualisierung unterstützen mit individueller Lernzeit und Lernrhythmen. 

Individualität gefragt 

Das Verständnis von Menschenbildung im Sinne der Förderung individueller Potenziale in einer sich schnell wandelnden Welt sei ein wichtiges Anliegen, so Thorsten Jürgensen-Engl vom Albert Schweizer Gymnasium Hürth: „Wir möchten Schülerinnen und Schüler modern sowie zeitgemäß unterrichten und ihnen damit gute Chancen für Studium und Berufslaufbahn ermöglichen. Ein wichtiges Element dabei ist der Erwerb von digitaler Kompetenz.“

Ähnlich sieht es der Bildungsunternehmer Daniel Jung: „Die heutigen technischen Möglichkeiten müssen genutzt werden, um individuelles Lernen statt standardisierter Bildung zu fördern.“ Zudem müssten die Prioritäten geändert werden. Etwa beim Thema Künstlicher Intelligenz. Das sollte in den Lehranforderungen ganz weit oben stehen und nicht das Auswendiglernen von sinnlosen Stoffen. 

Wir haben Jahrzehnte verpennt

„Ein Jahr Pandemie hat bestätigt, dass wir Jahrzehnte in der Bildungsarbeit verpennt haben. Wir können den klassischen Unterricht nicht auf einen Zoom- oder Teams-Call projizieren. Sowohl die Lernenden als auch viele Lehrkräfte sind überfordert: Hybrides Lernen, Umstellung auf Onlinephasen, Lernen in kleinen Teams, die online zusammen kommen, Umschaltung auf Präsenzphasen: Hier müssen viele Dinge konzeptionell nachgeholt werden. Und zwar schnell“, fordert Jung. Der Mythos, es sei ja alles da an Bildung im Internet, ist eben nur ein Mythos. Die Realität sieht anders aus. Faktisch erleben wir an Schulen ein technologisches Desaster: „Es existieren keine didaktischen Konzepte und es mangelt an der technologischen Infrastruktur. Ganz zu schweigen von lernfreundlicher Architektur. Wir schicken die Kinder immer noch durch Gebäude von 1895. Wie willst Du einem toten Pferd die Sporen geben? Keiner thematisiert das umfassend: Didaktik, Infrastruktur und Architektur. Oder wie gut ist die Infrastruktur der Eltern fürs Homeschooling? Wir sollten beispielsweise Co-Learning-Spaces aus der Taufe hebe. Wir brauchen neue Lernumgebungen“, sagt Jung im Gespräch mit der DigitalX-Redaktion. 

Lernen durch Lehren 

Jeff Bezos hat hier schon Initiativen gestartet. Die Amazon Preschools sollen für Kinder von sozial schwachen Familien Bildungswege eröffnen. Zudem unterstützt Bezos 24 Schulen in den USA mit einem Engineer Program, beispielsweise für Robotik. Bei den Schulen handelt es sich um öffentliche Schulen, deren Schüler aus den weniger bis unterprivilegierten Schichten stammen. Amazon baut mittlerweile tolle Kindergärten und Schulen; beide orientieren sich an der Montessoripädagogik, einer beliebten Methodik, die in vielerlei Hinsicht Stärken gegenüber dem Unterricht in den klassischen Schulen hat. 

„Woran wir in der öffentlichen Bildungspolitik seit Jahrzehnten in desaströser Weise scheitern, alles, was unseren Schulen fehlt, findet man hier plötzlich. Riesige, finanzkräftige Unternehmen machen das einfach. Das bedeutet in der Konsequenz aber auch: Wenn wir nicht möglichst schnell unsere Bildung modernisieren, dann entscheiden bald die CEOs von Konzernen darüber, was und wie unsere Kinder lernen“, warnt Jung.

Er selbst will Plattformen aufbauen, die das Konzept „Lernen durch Lehren“ verfolgen.

Schon jetzt sei ein interessanter Effekt eingetreten: Viele Helferinnen bauen sich durch ihre Tätigkeit auf mathefragen.de quasi beiläufig ein wertvolles Profil für die berufliche Zukunft auf. Denn Unternehmen und potenzielle Arbeitgeber können hier leicht sehen, auf welchem Wissensstand sich jemand befindet sowie auf welche Art und wie erfolgreich er sein Wissen an andere weitergibt. Man kann zum Beispiel sehen, wie jemand schriftlich erklärt oder, wenn er schnell zum Handy greift und ein kleines Erklärvideo produziert, wie er sich mündlich vor der Kamera schlägt. So entdecken die Nutzerinnen und Nutzer hier für die von ihnen investierte Zeit einen echten Mehrwert. Ich bin gespannt, in welche Richtung wir diese Plattform gestalten können, indem wir permanent mit den Nutzern interagieren und sie dadurch ständig weiterentwickeln“, resümiert Jung.