KI, Charisma oder Kollektiv: Wer entscheidet am besten in Krisenzeiten?

Kennen Sie DKV? Nicht die Deutsche Krankenversicherung, sondern Deep Knowledge Ventures, ein Venture-Capital-Fond aus Hong Kong? Der Risikokapitalfonds mit dem Fokus auf Deep Tech schrieb vor einigen Jahren einem einzelnen Mitglied seines Management-Teams den Erfolg zu, das Unternehmen vor dem Bankrott gerettet zu haben. Das Team-Mitglied war allerdings kein erfahrener Investmentprofi. Es handelt sich vielmehr um KI, und der Geschäftsführer des Fonds behauptete, ohne „Vital“ – so das KI- Programm – wäre das Unternehmen untergegangen. Geschichten wie diese machen immer wieder die Runde. Ist also KI - gerade in Corona-Zeiten - der bessere Vorstand oder Aufsichtsrat? Auf jeden Fall hatte „Vital“ mehr als 15 Minuten Ruhm und verdiente sich einen Wikipedia-Eintrag, der allerdings kritisch in den Kommentaren fragte, ob es sich bei „Vital“ um einen Hoax handle. Fortune berichtete 2019 jedenfalls, dass „Vital“ nicht mehr genutzt würde.
Wo KI gerade jetzt versagt
Das ruft nach fundierter Aufklärung und so hat der Autor dieses
Beitrags mit verschiedenen Partnern aus Wissenschaft und Praxis
die Rolle von KI umfassend diskutiert. Carsten Bange von BARC ist
weit davon entfernt, mit kühnen Aussagen Weltruhm erlangen zu
wollen. Um so fundierter sind die Analysen des BARC-Instituts. In
einer Umfrage mit dem Titel „Auswirkungen von COVID-19 auf Data
& Analytics – der Weg zum intelligenten Unternehmen“ stellte das
Analysten-Spin-Off der Uni Würzburg fest, dass die Coronakrise in
diesem Bereich erhebliche Auswirkungen hatte – aber anders als
vermutet https://www.bigdata-insider.de/index.php/corona-hat-auswirkungen-auf-analytics-projekte-a-950966/
. Die Studie zeigt,
dass 56 Prozent aller Unternehmen Projekte für Daten und Analyse
verzögert oder sogar gestoppt hatten. Im Gespräch mit Bange und
dem Business-Intelligence-Experten Ansgar Eickeler wurde klar,
dass bei disruptiven Umbrüchen gerade KI auf Basis historischer
Daten vielfach versagt, weil dann die Zukunft nicht einfach eine
Fortschreibung der Vergangenheit sein kann. In solchen Fällen – so
Bange und Eickeler unisono - sind dann eher Szenario-Planungen
gefragt und manchmal Intuition bzw. Erfahrung mit früheren Krisen.
KI-Aufbruch - Controlling und Führung
Wer nun aber KI, Big oder Smart Data leichtfertig gleich ganz
diskreditieren und ein Hohelied auf Intuition und Erfahrung singen
möchte, der irrt ebenso. In seinem neuen Buch „Erfolgsfaktor
Künstliche Intelligenz“ hat Tim Cole dem Thema KI im Controlling
und KI und Führung zwei eigene Kapitel gewidmet. Dort findet sich
der Hinweis auf „Trufa“. Während bei „Vital“ nie richtig klar war, wie
real das System war, hat der etablierte Internationale Controller-
Verein (ICV) unter Leitung von Professor Andreas Seufert eine ganz
reale Digitalisierungs-Offensive gestartet. In diesem Kontext
erwähnt Cole „Trufa“ als ein System, das mit Hilfe von KI
Unternehmensdaten selbständig analysiert und konkrete Aktionen
vorschlägt. Durch KI können „die Zusammenhänge zwischen den
einzelnen finanziellen Kennzahlen besser und schneller analysiert
werden und dadurch Aussagen über die Veränderung der
Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zeitnah gemacht werden“
so Cole weiter. Das klingt nach Aufbruch, auch der Hinweis von
Cole, dass laut einer IDG-Studie bereits 41 Prozent der befragten
Unternehmen Systeme der KI in ihren Planungssystem einsetzen.
Noch kühner sind Coles Hinweise auf Robo-Chefs, die laut der
Studie „Future Workplace“ zwei Drittel der Mitarbeiter als Chefs
akzeptieren würden. Sind wir wirklich schon so weit?
Statt KI - Exklusivität der Seniorität und reine Intuition als
Irrweg
Ein neues Software-System bedeutet aber noch keine
fundamentale Transformation von Entscheidung und Führung, denn
das hängt am Ende auch vom Können und Wollen der Entscheiderund Unternehmensführer ab. Eine weltweite Studie der WHU
gemeinsam mit Oracle offenbarte diesbezüglich nämlich Kritisches -
gerade im Hinblick auf die systematische Vernachlässigung des
Potenzials von Daten und in der Konsequenz auch von BI und KI
durch Manager und Mitarbeiter.

Die Studie „The Adaptable Business“ https://www.oracle.com/a/ocom/docs/dc/the-adaptable-business.pdf von der WHU in Koblenz und Oracle unter Leitung des HR-Vordenkers Joachim Skura hat weltweit über 6.000 Entscheider nach den Erfolgsfaktoren für die Transformation gefragt. Spannend dabei: Technologie war keineswegs auf Platz 1. Die sieben wirklich entscheidenden Faktoren für eine Transformation waren danach eher Verhaltens- Faktoren wie „Unternehmerische Kultur“ oder „Offenheit für Veränderung“. Auf Platz 1 dabei: „Datengestützte Entscheidungsfindung“. Noch spannender: Obwohl Daten offensichtlich vielfach erfolgsentscheidend sind, entscheiden Manager immer noch gerne auf Basis von Erfahrung beiweitgehender Daten-Ignoranz. Hier auch spannend: Arbeitgeber und Top-Manager beurteilen diesen Tatbestand weniger kritisch als ihre Mitarbeiter. Man ist mit sich selbst offenbar zufrieden. Es bestätigen nur 38% der Mitarbeiter, dass Daten umfassend bei Entscheidungen genutzt werden, bei den Arbeitgebern (und HR) sind es hingegen fast die Hälfte der Befragten.

Was denn nun? Es kommt darauf an!
Also, was denn nun? KI oder Charisma – wer entscheidet und führt
am besten? Ein Artikel aus dem Juli diesen Jahres im Journal for
Management and Governance untersuchte die Auswirkungen der
künstlichen Intelligenz auf die Praxis der Unternehmensführung
https://link.springer.com/article/10.1007/s10997-020-09519-9.
Quintessenz des Beitrags: Entscheidend sind die
Rahmenbedingungen wie Art der Aufgabe und verfügbare Daten.
Und natürlich die tatsächliche Leistungsfähigkeit von KI. So stellendie Autoren zumindest für die Gegenwart (Horizon 1) fest: „Artificial
governance in Horizon 1 is very much driven by advances in
supervised and, to a lesser extent, reinforcement learning, which
mainly leads to assisted and augmented intelligence. In both cases,
correct and sufficient data is key to performance, either as training
or feedback data.“ Wir sind demnach (s. Bild 3) noch lange von der
autonomen Intelligenz entfernt, die den Menschen vollständig
substituiert. Assistenz und Augmentierung für menschliche
Intelligenz ist alles, was wir vor allem bei hochkomplexen Aufgaben
aktuell schon erwarten dürfen und auch das nur, wenn die Daten
dafür ausreichend und korrekt sind. Dann aber sollten wir die
Chancen nutzen!

Apropos Mensch: Partizipative Führung auf Platz 3
Übrigens: Wer sich als Vorstand oder Aufsichtsrat vorerst nun in
seiner Unersetzbarkeit bestätigt sieht, der sei auch auf Erfolgsfaktor
3 aus der Studie „Adaptable Business“ hingewiesen: partizipativeEntscheidung! Die Ignoranz der kollektiven Intelligenz oder auch
der qualitativen Einzelmeinung ist ebenso kritisch wie die Ignoranz
von Daten und KI. Insbesondere, wenn die Ergebnisse der Analyse
nicht dem aktuellen Singsang entsprechen. Wieviel ehrliche
Offenheit haben wir gegenüber kritischer Analyse? Die
erfolgreichsten Unternehmen setzen auf KI, (Vorstands)Charisma
und Kollektiv! Miteinander statt gegeneinander – das scheint eine
vernünftige Devise in Zeiten von Corona und auch darüber hinaus!
Und was ist mit Corona?
Apropos Corona: In der Politik scheinen Krisen die Zeit für
charismatische Führer. In der Krise rufen wir gerne nach
(entscheidungs)starken Persönlichkeiten. Wenn schnell und klar
entschieden und geführt werden muss, ist das vielleicht auch eine
ganz natürlich und oft auch kluge Vorgehensweise. Nur, geht es
vielleicht sogar besser? Nach dem bisher Gesagten sollte das
Potenzial von Facts vs. Fiction klar sein. Daten können eine
Entscheidung nur besser machen, nicht schlechter.
Wissenschaftliche Evidenzen sollten fundamentaler Bestandteil
sein. Die Initiative „Test the world“ von Professor Fehr und anderen
https://testtheworld.org/de/
fordert für den nächsten Schritt zur
Bekämpfung von Corona schon lange aber zurecht repräsentative
Tests, um nicht im partiellen (Daten)Blindflug durch die Krise zu
steuern.
Mittlerweile werden komplexe KI-basierte Verfahren umfassend zur Bekämpfung von Corona genutzt. Einen Überblick findet man beider „KI-Plattform“ Lernende Systeme der acatech https://www.plattform-lernende-systeme.de/corona.html . Zudem werden vermehrt Stimmen laut, die auch ein Mehr an Kooperation der führenden Wissenschaftler und anderer Vertreter der Politik und Zivilgesellschaft fordern statt eine Aufteilung in Team Drosten oder Team Streeck.
Daraus können auch Unternehmen für die Bewältigung ihrer Corona-Krise lernen. BI oder KI und Charisma als Synonym von Erfahrung und Intuition und die kollektive Intelligenz eines Unternehmens sind keine Feinde, sondern „Joint Forces“ in einer Zeit, in der die neue Komplexität in vielen Fällen triviale Entscheidungsansätze nicht mehr erlaubt.